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德语圣诞故事:Der Weihnachtsabend

Missmutig stapfte Manuela durch die winterkalte Nacht. Sie wusste nicht wohin. Nur weg! So hatte sie sich den Urlaub nicht vorgestellt. Ganz anders war er von ihr geplant, aber wieder einmal hatte Kersten ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kersten von Bülow war ihr Chef und seit fast zwei Jahren waren sie auch privat ein Paar. Sie hatte gehofft, dass er in diesem romantischen Bergdorf auf die Idee kommen könnte, ihre Beziehung mit einer Verlobung zu legalisieren. Doch weit gefehlt, denn als sie vorsichtig auf das Thema Heirat zu sprechen kam, schaute er sie entgeistert an und fragte tonlos: "Hast du wirklich gedacht, dass ich eine kleine Vorzimmermieze wie dich zu meiner Ehefrau mache?" Er hatte hart aufgelacht und hinzugefügt: "Musstest du uns diesen letzten Urlaub vermiesen?"
"Wieso unseren letzten Urlaub?", hatte sie mit trockener Kehle gefragt.
"Ich werde im April Celine van der Hagebrauck ehelichen, das ist so abgesprochen und führt zu einer Fusion unserer beiden Betriebe."
Mit Tränen in den Augen war sie aufgesprungen und aus der heimeligen Gaststätte gelaufen. Er war ihr nicht gefolgt.
Die Nacht war sternenklar und die Luft fast beißend kalt. Manuela spürte es nicht. Am liebsten würde sie vor sich selbst weglaufen. Wie peinlich ihr nun die ganze Situation vorkam. Weit hatte sie sich mittlerweile vom Dorf entfernt, stetig bergab war sie gelaufen, ohne es zu bemerken. Kleine Nebelschwaden heißen Atems entsprangen ihren leicht geöffneten Lippen. Sie blieb staunend, ob der wunderschönen Aussicht aufs Tal, stehen.
Vielfältige bunte Lichter blitzen dort, ein Duft von Tannennadeln und Harz lag in der Luft.
Sie setzte sich auf einen Baumstumpf, erstaunt, dass plötzlich alle schlechten Gedanken wie weggeblasen waren. Leise, ganz leise und entfernt waren Weihnachtslieder zu hören.
Und da ein kurzer Lichtblitz ... eine Sternschnuppe! Hinter ihr räusperte sich jemand.
Sie zuckte zusammen, ein kurzer Hoffnungsschimmer: "Kersten!", drehte sie sich schnell herum.
Doch es war nicht Kersten, dort stand in gleißendem Licht ein altes Männlein, mit einer Holzkiepe auf dem Rücken und einem langen Stab in der rechten Hand.
"Guten Abend!", sagte Manuela höflich, "und Frohe Weihnacht!"
"Für dich auch mein Kind. Gibt es einen besonderen Grund, weshalb du an diesem, heutigen Tage weinst?"
Die letzte Träne wegwischend, schüttelte sie den Kopf.
"Würdest wohl einiges anderes machen, wäre es nach deinem Herzen gegangen."
Darauf wusste Manuela keine Antwort. Was wusste der denn schon?
"Nun komm", wurde sie aufgefordert. "Folge mir, denn es wartet eine Aufgabe auf dich!"
Und als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, tat sie es ...
Immer tiefer folgte Manuela dem Fremden in den Wald hinein. Seinem fröhlichen Pfeifen konnte sie nur wenig abgewinnen. Dafür fühlte sie einfach noch zu sehr den Ärger in sich brennen - im Gegensatz zu der Kälte, der allmählich in ihr hoch kroch. Inzwischen verdeckten riesige Bäume die Sicht zum Mond. Kaum noch zu sehen war die Umgebung. Was hatte sie hier eigentlich zu suchen?
"Da sind wir auch schon", vermeldete strahlend das Männlein.
Mit offenen Mund bestaunte Manuela das bunte Treiben. Unzählige Leute rannten zwischen einer riesigen Halle und vielen Lastern umher. Kaum waren einige abgefahren, kamen schon die nächsten dazu, um beladen zu werden.
Das Ziehen am Mantel ließ sie hinabblicken. "Komm schon, die Zeit ist knapp."
Nur blieb sie stocksteif stehen und das nicht wegen der Kälte. Auf einmal erschien ihr alles klar - vom Weihnachtsabend bis hin zum hektischen Verladen. "Bist du etwa der Weihnachtsmann?"
Langsam drehte sich der Mann um. Sein Lachen verschwand kurz aus dem Gesicht. "Sehe ich denn so aus, wie du dir den Weihnachtsmann vorstellst?"
Nun ja, es fehlte der Rauschebart, ebenso wie der rotweiße Mantel. Auch trug er keine Mütze. Überdies ... nein, wie konnte sie überhaupt darauf kommen? Rein gar keine Übereinstimmungen aus Erzählungen mit dem Weihnachtsmann zu ihrem Begleiter gab es! Manuela schüttelte den Kopf.
"Eben", sah sie ihn schon wieder lächeln. "Nun komm jetzt."
Vormals aus der Ferne sah es aus wie ein heilloses Durcheinander. Inmitten zwischen den Anhängern und Kisten grenzte es an ein Wunder, noch immer nicht von einem der Träger angerempelt worden zu sein.
Noch bevor Manuela die Frage stellen konnte, worin denn ihre Aufgabe bestand, bekam sie einen Stapel Blätter in die Hand gedrückt. "Du steigst in Wagen Nummer Sieben. Der Fahrer kennt die Strecke. Deine Aufgabe ist lediglich, zu notieren, ob die Kisten ihre Ziele erreichen. Viel Glück auf deinem Weg."
Ehe sie sich versah, saß sie schon neben dem Fahrer, der den riesigen Truck lenkte. Weder glich dieser dem Weihnachtsmann, noch ähnelte er einem dessen treuen Helfer, einem Wichtel. Seufzend, wider Erwarten an keinem Wunder teilhaben zu können, wurde die Liste überschaut. Darauf standen Namen und Zahlen. Schon wenig später ergaben sie einen Sinn.
"Ganz oben steht doch 'Schule', nicht wahr?", erkundigte sich der Fahrer.
Dies bestätigte Manuela und ergänzte: "Dahinter steht noch '324 - 329'."
Schon hielt das Gefährt und der Fahrer stieg aus. Neugierig tat es Manuela ihm gleich. Da standen schon zwei Kisten nebeneinander am Straßenrand. Weitere vier folgten aus dem Anhänger, ehe der Fahrer ihn wieder zu schließen versuchte. "Klemmt ein bisschen", behielt er aber seine gute Laune.
Kaum, dass beide wieder saßen, ging es schon weiter. Im Rückspiegel konnte man verfolgen, wie mehrere Menschen aus dem großen Gebäude kamen und die Kisten umringten. "Streiche am besten gleich ab, wo wir schon gewesen sind", wurde ihr der Ratschlag gegeben. Daraufhin setzte die verwunderte Beifahrerin einen Haken.
Nach den Bezeichnungen 'Schule' folgten weitere wie 'Hochwürden' oder 'Heim'. Stets trat der Fahrer schon stark auf das Gaspedal, als Leute im Hintergrund auftauchten und zu den Kisten rannten. Eine euphorische Manuela genoss zwischen den Stationen die fremde Umgebung.
Schließlich verspürte sie allerdings ein dringendes Bedürfnis. "Wäre es möglich, da vorn einmal kurz zu halten?" An der Tankstelle sprang sie heraus, um die Toilette aufzusuchen.
Als sie erleichtert zurückkehrte, war der Laster verschwunden.
Als wurde den eigenen Augen misstraut, trat Manuela auf der Stelle, an der noch vor kurzem ein Sattelschlepper stand. Vergeblich hatte sie gehofft, sich zu irren: Er blieb verschwunden. Stattdessen lag etwas Anderes dort. "Bist du etwa verloren gegangen?", griffen die Arme nach dem braunen Teddybär. Nur was sollte sie jetzt machen, ohne Geld oder Telefon? Noch dazu erwies sich die Tankstelle als geschlossen - allein das beleuchtete Reklameschild hatte auf sie hingewiesen. Verloren in der Fremde. Sicherlich war es inzwischen schon lange Mitternacht. Der Blick auf die Uhr stellte sie allerdings vor ein Rätsel: Wenn die Zeit stimmte, waren gerade einmal fünfzehn Minuten vergangen, nachdem sie aus einer Gaststätte floh. Zitternd umklammerte sie den Bären.
Wie war das möglich?
Sie schaute in die Runde. Die mäßig beleuchtete Tankstelle, die Straße mit angrenzendem Wald. Nichts war von der Stadt zu sehen. Langsam kroch die Kälte durch den Körper.
"Das kann ja heiter werden! Frau mit Teddy ganz allein in der 'Wildnis' und wohin wollen diese beiden? Nach links oder rechts?"
Kurz entschlossen drehte sie sich um. "Nur nicht die Nerven verlieren."
Gerade als sie losmarschieren wollte, sah sie die Lichter eines sich schnell nähernden Autos auf sie zukommen. Zwar war da eine gewisse Angst, das Auto anzuhalten, aber das eisige Wetter und das Nichtwissen des gegenwärtigen Standortes waren stärker und so winkte sie.
Quietschende Räder, weihnachtliche Musik erklangen, als die Beifahrertür aufgemacht wurde. Lachende Stimmen drangen an ihr Ohr, als Manuela sich duckte und um Mitfahrt bitten wollte. Was sah sie da in dem Auto? Liliputaner oder waren es Zwerge?
Mindestens drei Paar Augen schauten sie vom Rücksitz schelmisch an und der Fahrer, ein ganz bunt gekleideter Mann winkte sie mit den Worten: "Wieder eine unglückliche einsame Seele! Komm schnell hinein, wir nehmen dich mit!"
'Was sollte denn das? Unglückliche, einsame Seele?', kreisten ihre Gedanken beim Einsteigen. Aber hatte dieser bunt gekleidete Mensch nicht irgendwo recht?
Bevor sie weiter grübeln konnte, wurde ihr ein heißer Tee gereicht, der herrlich nach Zimt duftete und dazu die Wärme des Autos und die Fröhlichkeit der Leute taten ihr gut.
'Ob sie Zeit hätte', 'wohin sie wollte' und 'warum sie mit einem Teddy dastand', 'woher sie käme'…? Fragen über Fragen stürmten auf sie ein und so langsam fand sie ihre Erlebnisse bei der Beantwortung selbst ein bisschen komisch.
Dann wurde hinten getuschelt. Durch die Musik konnte Manuela nicht alles verstehen.
Ein Schulter klopfen, ein "Mach dir nichts draus!" und dann: "Du bist dieses Jahr unsere Auserwählte!" Ein Kichern und schon sangen die Zwerge ihr Liedchen:
Manuela, Manuela, wir haben dich gefunden.
Diesen Abend bist du an uns gebunden
Der Weihnachtsmann, der wird sich freuen,
und du wirst heute nichts bereuen.
Drum lasst die Glöckchen klingen
und uns gemeinsam singen,
vom Christkind – Menschenkind.
Dessen Freunde wir heut' sind.
Dann klatschten alle in die Hände, sich freuend über die Feststellung, die eben gemacht wurde. "Nun stellt euch endlich mal unserer hübschen Beifahrerin vor. Löcher in den Bauch fragen, aber sich nicht einmal vorstellen. Ich bin übrigens der Hans, der Bunte.", sagte er und schon ging es munter auf der Rückbank weiter: Heinrich - der Starke, Klaus - der Gute und Purtz - der Kurze. Manuela lachte und alles, was sie bisher erlebte, war wie weggeblasen.
Eigentlich war sie stolz, als 'Auserwählte' zu gelten. Ihre Hände umklammerten den flauschigen Teddy und es tat richtig gut, hier zu sein.
"Auf nach 'Santa'", riefen alle, das Gaspedal wurde durchgetreten und wie eine Rakete schoss das Auto ab, erst die Straße und dann… Manuela glaubte zu träumen… erhob es sich wie ein Flugzeug gen Himmel, die Welt dort unten immer kleiner werden lassend.
"Ja, auf nach 'Santa'!", murmelte sie in sich hinein, wissend, dass etwas ganz Besonderes geschah.

Das Auto stieg höher und höher. Manuela sah aus dem Fenster die Dörfer und Ortschaften wie Lichtflecken im Dunkeln unter sich herziehen. Immer kleiner und blasser wurden diese Lichter und immer schneller rasten sie unter dem Gefährt vorbei. Manuela fragte sich, wie hoch sie wohl flögen und wie schnell, wagte dann aber doch nicht näher darüber nachzudenken. Immer wieder wurde ihr heißer Tee nachgeschenkt und Kekse gereicht und die Zwerge stimmten lustige Lieder an, ulkige Reime, die keinen Sinn ergaben, aber irgendwie alle sich um Weihnachten, Schnee und Geschenke drehten.
Manuela schaute immer noch wie gebannt auf die nächtliche Landschaft, als die Lichter der Städte abrupt endeten und sich eine weite Schwärze vor ihnen ausbreitete. "Was ist das?", fragte sie den Fahrer. "Das ist das Meer, wir werden noch eine Zeit unterwegs sein." Sie hörten Heinrichs ruhige Stimme zu einem neuen Lied ansetzen:
Das Meer, das Meer!
Die Lider sind schwer.
Die Augen fall'n zu.
Der Fisch geht zur Ruh.
Das Wasser platscht leis'
um Berge aus Eis.
Am Ende der Nacht
ganz Santa erwacht!
Danach wurde es still im Auto. Manuela wurde plötzlich sehr müde, sie hörte gerade noch die ersten Schnarcher der anderen beiden Zwerge, da war sie auch schon eingeschlafen.
Sie träumte, sie würde durch die Luft fliegen, an beiden Händen gehalten von Engeln. Es war sonnig und die Luft fühlte sich warm an, obwohl sie über eine Winterlandschaft glitt. Manuela schwebte über dichte Wälder, sah kleine tief verschneite Dörfer und ab und zu einzelne Gehöfte. 'So muss es früher einmal ausgesehen haben', dachte sie. Die Häuser waren aus Holz, keine Straßen waren zu sehen, keine Autos standen herum, alles sah so unberührt aus und schien nur dazu da zu sein, ihr Auge zu erfreuen. Sie hörte ein Geräusch, zuerst leise, dann lauter werdend. Die Engel hielten an und ließen sie los. Manuela fiel weiter auf das Geräusch zu, das auf sie zuraste, immer schneller….
Mit einem Schreck fuhr sie hoch, und machte die Augen auf. Der Fahrer hupte wie wild und winkte fröhlich einem anderen zu, dessen Auto neben ihnen flog. Es war noch dunkel und die Zwerge schien der Krach in ihrem Schlaf nicht zu stören. "Was soll das, mich so zu erschrecken!", zischte sie den buntgekleideten Mann an. "Der drehte sich kurz um und sagte: "Wir sind fast da! Schau, dort unten, es ist immer wieder ein Erlebnis!"
Es war, als begänne der Schnee von innen heraus zu leuchten. Das Auto näherte sich der gleißenden Helligkeit. Hinter einem Hügel lag Santa. Zwischen den Bäumen hingen bunte Laternen. Auf den freien Flächen bewegten sich Herden von Rentieren. Und vor einer gewaltigen Wand aus glattem Eis lag ein großes Gebäude, geformt wie ein Iglu, aber durchbrochen von vielen Fenstern und Terrassen. Überall schien reges Treiben zu sein, es wimmelte von kleinen und größeren Gestalten. Manuela war sprachlos. "Du kannst den Mund jetzt wieder zumachen.", grinste der Fahrer sie an. "Wir landen jetzt." Trotz seines Hinweises stieg Manuela mit noch immer vor Staunen geöffnetem Mund aus.... dem Fahr- oder sollte man Flugzeug sagen? 'So etwas gab es doch nur im Märchen', dachte sie. 'Bin ich eingeschlafen in der Kälte des Waldes und sind das Halluzinationen meines Gehirns, dass kurz vor dem Ende, nach Sauerstoff schnappend, mir dieses gnädig erleichtern will?' Immer wieder schloss sie die Augen, öffnete sie nach einem heftigen Kopfschütteln wieder. " Hey", sagte Hans, der Bunte, "glaub es endlich, es ist kein Traum!"
"Aber... aber", stotterte Manuela. "Nun gut, ich will dir erklären, was wir hier tun und wofür wir dich brauchen", verstehend nickte Hans. Er reichte ihr seine Hand, schloss die Augen und schwupps, befanden sie sich im Inneren des Iglus. Das rege Treiben hielt plötzlich inne und ein Wispern und Raunen zeigte an, dass ihr Eintreffen Aufmerksamkeit erregte. Hans, der Bunte, drückte ihre Hand, pfiff und sie stand im hellbuntem Licht eines geschmückten Tannenbaums und hatte ein purpurnes Chiffonkleid an. In der rechten Hand steckte ein goldener Stab, an dessen Ende ein funkelnder Stern befestigt war. "Oh's" und "Ah's" erklangen. Und eine vorlaute Elfe rief: "Die Auserwählte!" - "Aber für was habt ihr mich denn auserwählt? Vielleicht kann ich es gar nicht!"
Ein lautes vielschichtiges Lachen und dann... Gesang:
Sie glaubt, sie kann es nicht
Dabei zeigt's doch das Licht
Schön ist sie anzuseh'n
Jeder wird sie versteh'n
Sie denkt, es ist ein Traum
Aufleuchtet der Tannenbaum
Gut ist ihr Herz
Groß ist ihr Schmerz
Sie wird es erreichen
Sie ist unser Zeichen
...Manuela... Manuela... Manuela ( leiser werdend) ... Manuela... Manuela
LUFT! LUFT! Verzweifelt rang Manuela danach, doch nur Wasser füllte ihre Lungen aus. Es würde wohl kaum noch lange dauern, ehe sie ertrank... Mit einem Schrei schreckte sie hoch. Vor sich sah sie einen Jungen mit einem leeren Glas Wasser in der Hand. "Entschuldigen sie", zog jener eine Unschuldsmiene, "es ist mir aus der Hand gerutscht." Zusammen mit zwei weiteren Jugendlichen rannte er davon. Mit einem Tuch trocknete sich Manuela das Gesicht, ehe sie aufstand - und fand sich inmitten eines Raumes wieder. Stühle und Tische standen auf dem Teppich, Bilder hingen an den Wänden und eine Reihe von Lampen an der Decke. Nur: Wo war sie überhaupt? Wie kam sie hierher? Noch bevor sie sich ein richtiges Bild davon machen konnte, kam jemand polternd die Treppe herunter. Die Tür, durch welche die Jungen verschwanden, wurde aufgestoßen und eine ältere Frau kam herein. Zitternd verfolgte Manuela ihren schlurfenden Gang, bis jene vor ihr stand. "Was hast du?", wurde sie freundlich gefragt. "Kennen wir uns?", antwortete sie selbst mit einer Gegenfrage. Die Alte runzelte die Stirn und schien dabei die nassen Haare zu bemerken. "Diese Lausebengel haben sich wohl wieder einen Spaß erlaubt? Man darf sie einfach keine Sekunde aus den Augen lassen... Komm, ich habe für die Gruppe das Essen fertig."
Für die Gruppe - das bedeutete sieben Kinder zwischen etwa vier und sechzehn Jahren. Gemeinsam mit der Köchin saß Manuela um einen Tisch herum und nahm die Mahlzeit ein. Immer wieder schaute sie auf und suchte dabei in den unbekannten Gesichter oder dem fremden Raum nach Erinnerungen. Das Merkwürdigste dabei war, dass man sie hingegen zu kennen schien!
Nach dem Essen verstreuten sich die Kinder in alle Winde. Die meisten gingen in ihre Zimmer und ein paar nahmen vor einem Fernseher Platz. Dort stand auch ein bunt geschmückter Weihnachtsbaum. Während Manuela davor stand, kamen Erinnerungen hoch: Die Flucht aus der Gaststätte, das kleine Männlein im Wald, die Autofahrt... der Flug. Ab welchem Moment begann eigentlich ihr Traum?
Ein schreiendes Kind rannte vorbei. Höhnisches Gelächter im Hintergrund. "Bleib bitte stehen... Junge." Wie wohl sein Name lautete? Als Manuelas Kopf sich wieder dem Baum zudrehen wollte, schreckte sie kurz zusammen: Ein Zwerg stand auf der Treppe und lugte unter dem Geländer hindurch. Hans der Bunte. "Weißt du, warum Daniel weint? Gerade bekam er mitgeteilt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Alles sei erlogen. Das ist unser Problem und deshalb bist du hier: Gib den Menschen ihren Glauben zurück." - "Wie soll ich das denn anstellen?" Hans senkte den Kopf. "Wenn du schon keine Antwort weißt..." - "Was willst du anstellen?", wollte die Köchin wissen. "Meinen sie mich?" Mehrmals schaute Manuela zwischen ihr und der Treppe hin und her. Der Zwerg war verschwunden.
Den gesamten Nachmittag brachte Manuela damit zu, den Kindern die Bedeutung des Weihnachtsfestes nahe zu bringen. Ausgerechnet sie, die bis gestern selbst nicht an einen Mann mit seinem fliegendem Schlitten glaubte. Moment, eigentlich bis heute! Denn man schrieb nach wie vor den 24.Dezember. Erst am Abend würde ein gewisser Vorgesetzter namens Kersten bei romantischer Atmosphäre erklären, dass er sich für eine andere Frau entschieden hatte. Doch wie immer das möglich sein konnte - die selbst erlebten Wunder spielten bei den Kindern keine Rolle. Sie wetteten darauf, welcher Erzieher wohl dieses Jahr unter dem falschen Bart steckte. Schließlich brachte eines der jüngeren auch noch den Baum zu Fall. Klirrend zerbrachen viele der Kugeln auf dem Parkett. Es schien unmöglich, diesen Kindern den Glauben zurückzugeben.
Eigentlich wusste es Manuela schon von Anfang, nicht die Auserwählte zu sein. Vor ihr der liegende Baum, hinter ihr die lärmenden Kinder - sie war mit ihrem Latein am Ende. Es bedurfte schon eines Wunders... 'Eines Wunders...' Flüsternd rief sie nach den Zwergen. Und tatsächlich stand plötzlich einer von ihnen hinter ihr. "Ihr müsst mir helfen", begann sie zu bitten, "denn allein schaffe ich es nicht." Hans schüttelte den Kopf. "So funktioniert das nicht: Niemand außer dir kann uns sehen oder hören. Und wenn plötzlich Dinge durch den Raum schweben, glauben die Menschen eher an einen Trick, als an Wunder." - "Das meine ich auch nicht. Kennst du das Buch 'Die schönste Weihnacht?'" - "Uns sind alle Bücher darüber bekannt." - "Ausgezeichnet! Dann höre zu, was ich vorhabe..."
Schon beim Abendessen konnte sie es kaum noch vor Vorfreude aushalten, während es etliche traurige Gesichter am Tisch gab. Ebenso erging es auch dem Baum nebenan, der noch immer auf dem Boden lag. Zwar wollte die Köchin ihn wieder aufrichten, aber Manuela sagte ihr, dass noch Zeit dafür war. Nach dem Essen sollten sich alle Kinder um ihr versammeln, damit sie ihnen eine Geschichte vorlesen konnte. Zwar maulten besonders die Älteren, aber schließlich behielt Manuela doch die Oberhand. Die Deckenlampe wurde aus, dafür eine Leselampe eingeschaltet. Zudem entzündete Manuela eine handvoll Kerzen.
Die schönste Weihnacht
Ein Winter, der jenes Jahr recht früh an die Türen klopfte, erfror alles Leben in der kleinen Ortschaft. Hoch wie nie türmten sich die Schneemassen auf. Die Kinder bauten die größten und eindrucksvollsten Schneemänner, die man sah...
Nach und nach zog die Geschichte, in der es um ein Geschwisterpaar ging, dass ein verirrtes Eichhörnchen fand und rettete, sieben Augenpaare in ihren Bann. Schließlich kam Manuela an die Stelle, in der das Tierchen drei Wünsche versprach. Nun muss man wissen, dass die Familie selbst sehr arm war und sogar ein Weihnachtsbaum die Möglichkeiten der Eltern überstieg. "Wie dumm", fand einer Jugendlichen. "Warum sind die nicht in den Wald und haben sich selbst einen Baum geholt?" Ein mehrfaches "Psst!" ließ ihn verstummen, ehe Manuela weiter lesen konnte.
"Der erste Wunsch ist ein Weihnachtsbaum, der schönste im ganzen Ort", bat das Mädchen. Geschmückt mit glitzernden Lametta, Lebkuchen und Schokolade." Das Eichhörnchen schaute zum sternenklaren Himmel auf. "So soll es sein..."
Ein Schrei hallte durch die Tür. Sofort sprangen die Jugendlichen auf und rissen sie auf. Dort stand eine kreidebleiche Köchin vor dem Weihnachtsbaum. Dieser stand wieder - und nicht nur das: Er glitzerte derart hell, dass man die Hand vor den Augen halten musste, um ihn anzusehen. Als sich die ersten ihm näherten, war er über und über mit Leckereien behangen. Manch einer der Jugendlichen sah darin wohl eine Verschwörung der Köchin, doch sie meinte nur "Das war ich nicht." Still lächelte derweil Manuela in sich herein. "Kommt. Ich möchte die Geschichte weitererzählen."
"Überlegt gut und weise, diese drei Wünsche können euer Leben verändern!", sprach das Eichhörnchen.
"Ja, ja!", sagte Paul, der schon fünfzehn war und dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren "Das wäre schön, wenn es so was nicht nur im Märchen geben würde, dann würde ich mir wünschen, dass das mit meinen Eltern nicht passiert wäre und sie noch leben würden und mein dritter Wunsch wäre, dass auch eure Eltern euch abholen könnten heute am Weihnachtsabend, dann... vielleicht... .könnte ich glauben, dass Weihnachten etwas Besonderes ist... ein Tag, an dem Wunder geschehen können. Schließlich feiern wir doch dieses Fest, weil Jesus Christus geboren wurde... der ist doch auch wieder auferstanden...!" Dabei liefen ihm die Tränen die Wangen herunter und auch die anderen Kinder, selbst die beiden Kleinen, Sally und Sandy, eineiige Zwillinge und erst drei Jahre alt, schauten bedrückt.
"Soll ich aufhören zu Lesen?", fragte Manuela, deren Augen ebenfalls verdächtig schimmerten. "Vielleicht erzählt ihr Manuela mal ein wenig von euren Eltern, zumindest soweit ihr euch noch erinnern könnt!", bat die Köchin. Sally und Sandy überschlugen sich fast: "Unsere Mami war so warm und weich und roch so gut, sie hat uns vor dem Schlafengehen immer ein Lied gesungen und uns dann auf die Stirn geküsst und Papi kam dann und hat noch ein bisschen mit uns gekuschelt! Das war schön!" Daniel, der Achtjährige, erzählte mit leuchtenden Augen, dass seine Eltern mit ihm immer in den Ferien an die See gefahren sind und der Vater mit ihm, wenn es windig war, Drachen steigen ließ. Der fünfjährige Samuel berichtete von seinem Lieblingsessen, dass seine Mutter ihm immer kochte, wenn er traurig war, weil sein Papi eines Tages einfach nicht mehr nach Hause kam. Und die zehn und zwölf Jahre alten Geschwister Vera und Hannes, auch sie hatten nur Gutes über die Eltern zu berichten. Alle zusammen waren sich einig, dass es furchtbar war, die Eltern zu verlieren, und dass das einmal das schönste und größte Geschenk war, diese Eltern gehabt zu haben. Nur Mario blieb still. Manuela war auf einmal klar, wo sie war. "In einem SOS Kinderdorf", flüsterte ihr Mary zu. Auf die Frage, was mit den Kinderdorf-Eltern sei, bekam Manuela von einem schrecklichen Vorfall zu hören: "Sie wollten den Kindern hinter dem Haus einen Spielplatz bauen. Dabei kam Erde ins Rutschen und begrub sie unter sich. In letzter Sekunde hatte Paul sie gefunden und ausgegraben. Sie liegen im städtischen Krankenhaus, sind aber auf dem Wege der Besserung. "Was ist mit Marios Eltern?" - "Er wurde einfach vor der Tür abgelegt. Er ist am längsten von allen hier und es wurde niemals heraus gefunden, wer seine Eltern sind!"
"Lies weiter, Manuela!" , sagte Paul in die plötzlich eingetretene Stille.
Seite folgte auf Seite in der Geschichte. Die beiden Kinder beharrten auf ihrem ersten Wunsch und so bekamen sie ihren wunderschönen Baum, voll behangen mit Süßigkeiten. Zusammen mit ihren Eltern saßen sie davor und sangen Lieder, als jemand an der Tür war. Es...
... klingelte. An dieser Stelle begann Manuela zu überlegen. Als es ein zweites Mal läutete, begriff sie, dass jemand vor 'ihrer' Tür stand. Sally und Sandy suchten Schutz hinter den älteren Kindern, während Paul sofort wusste, wer um Einlass begehrte: "Der Weihnachtsmann!" Nur würde Er an Türen klingeln? Dennoch herrschte ein gewisse Anspannung, als Manuela die Klinke nach unten drückte. Ein vielfach enttäuschtes "Oooch..." entwich den Kindern, als sie einen viel zu jungen und auch bartlosen Mann im blauen Overall erspähten. "Entschuldigen sie bitte die Störung. Wissen sie, was mit der Nummer 23 ist? Ich soll dort etwas liefern." Die dazukommende Köchin konnte ihm Auskunft erteilen. "Die steht schon lange leer." - "Hier steht eindeutig die Lieferadresse: 'Kastanienallee 23'. Was mach ich nun?"
Nein, es handelte es sich um keine verirrten Weihnachtsgeschenke für die Kinder, wie vielleicht mancher glauben dürfte. Am nächsten Tag wollte der Fahrer sie auch schon wieder abholen, nachdem ihm erlaubt wurde, sie am Haus zu lagern. Nachdem enttäuschte Gesichter wieder zusammenfanden, konnte Manuela fortfahren.
Es klopfte mehrmals an der Tür. Sofort sprangen die Geschwister auf. Nein, der Weihnachtsmann schaute auch dieses Jahr nicht vorbei. Vielmehr ein Gast, der an übrigen Tagen der Eintritt verwehrt blieb: Der halbwüchsige Sohn des reichsten Bauern im Ort. An diesem besonderen Abend öffnete sich jedoch die Tür für ihn weit. Was er dort zu sehen bekam, verschlug ihm glatt die Sprache: Wie konnte ausgerechnet in der schäbigsten Behausung der allerprächtigste Baum stehen? Beschämt trabte er von dannen.
Kaum, dass die armen Menschen wieder beieinander saßen, klopfte es erneut.
Ob dies wohl dem zweiten Wunsch entsprach?
Als Manuela an dieser Stelle aufsah, schaute sie in gespannte Gesichter. Zu Verwunderung aller las sie nicht weiter. Anstelle dessen begann zu lauschen. Nur: Es war nicht zu hören! Zumindest anfangs, denn etwas oder jemand begann auf dem Korridor herumzulaufen. Mehr, als einer! Glaubte Manuela bislang zu wissen, um wen es sich dabei handelte, wurde sie eines Besseren belehrt, als die Tür aufging. Eine hochgewachsene Frau stand da. "Mami?", fragte Sally laut, als ihre Schwester schon auf ihre Mutter zurannte. Nach und nach erschienen weitere Erwachsene, zu denen die Kinder rannten.
Mütter und Väter feierten in einer großen Runde Weihnachten mit ihren Kleinen miteinander. Weder dachte jemand noch an den Weihnachtsmann, geschweige denn von Geschenke. Nur mit den Liebsten zusammen sein zu dürfen, war alles, was an diesem Abend zählte.
...
Mit dieser Empfindung erwachte Manuela in einem weichen Bett. Dieses kam ihr ebenso vertraut vor, wie die Inneneinrichtung des Raumes. Das Hotel! Wie kam sie dort wieder hin? Und dann dieser merkwürdige Traum...
Neben dem Bett stand auf dem Nachttisch ein Wecker, der mehr, als nur die Uhrzeit anzeigte. Als sie die darauf sah, bekam sie einen riesigen Schreck.
Geistesabwesend schmeckte der Kaffee ebenso wenig, wie die Frühstücksbrötchen. Den Blick auf ihren Funkwecker mit Kalender hätte sie unbedingt vermeiden müssen. Darauf stand als heutiges Datum der 24.Dezember! Innerlich zerrissen vom wohltuenden Gefühl des Abends im Kinderdorf und der Niedergeschlagenheit, was sie am heutigen Abend von ihrem Gegenüber erfahren würde, ließ sie wieder auf ihr Zimmer flüchten. "Was hast du denn?", hörte sie Kersten hinterher rufen.
War alles nur ein Traum gewesen? Angefangen von den Zwergen bis zu den Kindern? Auch das Geständnis ihres Chefs, sie niemals heiraten zu wollen? Der Bär! Ein Teddybär saß in einem Stuhl und schaute sie mit seinen kleinen, schwarzen Knopfaugen an. Genau so einen fand sie an der Tankstelle, bevor sie... Sehnsüchtig schaute sie auf die wunderschöne Bergkulisse und musste dabei an den schönen Tag mit den Kindern denken. Und plötzlich fielen ihr wieder die Worte ein, die ein kleines Männlein sagte. 'Würdest wohl einiges anderes machen, wäre es nach deinem Herzen gegangen.' Mehr denn je wünschte sie sich das. "Was, wenn....?" Woher es auch kam - ein Gefühl der Entschlossenheit machte sich in ihr breit. Sie wusste, das Richtige zu tun, als sie zu Kersten ging, der zum Frühstückstisch zurückgekehrt war und weiter aß. Mit den Worten "In deinem Kaffee fehlt noch die Milch", wollte sie diese ihm erst über den Kopf schütten, sah aber schließlich davon ab - schließlich war Weihnachten. "Und übrigens: Ich kündige!"
Mit einer unbändigen Euphorie ließ Manuela Hotel, Chef und altes Leben hinter sich, ehe das Gefühl verflog. 'Was habe ich nur getan?!' Schockiert nahmen zwei Hände den Kopf in die Mitte. Zwerge in einem Auto, mit denen sie durch die Luft flog? Das, nachdem sie bei Auslieferung der Geschenke der Zwerge half? Wie konnte sie ernsthaft annehmen, die letzten Erlebnisse für wahr zu halten? Ausgerechnet sie, die an Weihnachten schon längst nicht mehr glaubte. Bevor sie allerdings auf die Idee kam, Kersten auf Knien um Verzeihung zu bitten, rauschte ein Lastwagen vorbei. Von der Farbe der Lackierung bis hin zum Weihnachtsbaum auf der Armaturenkonsole schien jedes Detail mit ihrem Traum überein zu stimmen - mit einer Ausnahme: Hinter der Windschutzscheibe steckte ein Zettel mit der Ziffer Vierundzwanzig, anstatt der Sieben. Als sich kurz darauf ein weiterer Laster näherte, stellte sich Manuela auf die Straße. Und: Er trug die Nummer Sieben! Den Wagen brachte sie jedenfalls zum Stehen. Der Fahrer leierte das Seitenfenster herunter. "Was haben sie denn vor?" - "Können sie mich mitnehmen?" Als der Mann hinter dem Steuer fragte, wohin, wusste Manuela nur die Straße. "Kastanienallee 24." - "Das sagt mir nicht sehr viel..." - "Kennen sie hier in der Nähe ein Haus vom SOS Kinderdorf?" - "Das sagt mir schon mehr. Da haben sie aber Glück: Ich fahre fast direkt daran vorbei."
Obwohl sich der Fahrer auf die Straße konzentrierte, bekam er mit, dass Manuela ihn stetig anstarrte. Kein Wunder, handelte es sich doch um genau den selben, wie bei der Auslieferung der Kisten. Als der Lastwagen eine ganz bestimmte Tankstelle passierte, sagte sie scherzhaft, froh darüber zu sein, weil er sie dieses Mal weiter mitnahm. Seinem Blick nach schien er jedoch nicht zu wissen, was sie damit meinte.
Kastanienallee 24. Sollte dieses mehrstöckige Fachwerkgebäude etwa jenes sein, in dem sie zusammen mit mehreren Kindern und ihren Eltern Weihnachten zusammen feierte? So genau wusste es Manuela nicht, weil sie keinen einzigen Schritt vor die Tür gesetzt hatte. Angst packte sie. Handelte es sich es tatsächlich darum oder vielmehr um die Gefahr, dass sie in Begriff war, sich eine wunderbare Illusion zu zerstören? Zumindest für ein paar Stunden hatte sie tatsächlich an Wunder geglaubt...
Als der LKW davon fuhr, blieb ihr kaum eine Wahl. Langsam näherte sie sich der Tür. Mit jedem ihrer Schritte nahm auch die Schrift auf einem Zettel an der Tür deutlichere Formen an. Dicht davor stehend, konnte sie schließlich folgende Worte lesen:
AUSHILFE DRINGEND GESUCHT
Gebannt las Manuela die Zeile, als jemand in der Tür stand: Die Köchin. "Ich habe ihren Zettel gesehen..." - "Oh, wie schön. Kommen sie doch herein."
Als Manuela der Frau folgte, erkannte sie die Lichterketten an den Wänden, die Figuren auf den Schränken und die Kugeln an den Lampen ebenso wieder, wie den Weihnachtsbaum. Daniel und Samuel spielten Fangen, während die Geschwister Vera und Hannes an einem Tisch saßen und malten. "Es gibt noch mehr von ihnen", lächelte die Frau. "Ich weiß", nickte Manuela. Sie glaubte, soeben nach Hause gekommen zu sein.
Nein, keine Eltern gesellten sich dazu, um gemeinsam mit ihren Kindern Weihnachten zu feiern. Auch kein Zwerg ließ sich blicken. Stattdessen wurde zusammen Plätzchen gebacken und Manuela hatte alle Hände voll zu tun, damit überhaupt einige den Weg in die Schüsseln fanden. Mit vollen Bäuchen sang man Weihnachtslieder, die Paul mit seiner Geige begleitete.
Hatte sie selbst auf ein echtes Wunder gehofft, so traf sie darauf am nächsten Tag: Hinter dem Haus befand sich ein nagelneuer Spielplatz. Die Rutschen, Schaukeln, Sandkisten und vieles mehr wurden sogleich von den Kindern ausprobiert. Während die Köchin sich wunderte, wer wohl über Nacht den Platz vollendet hatte, besaß Manuela zumindest in einem nervösen Kurierfahrers einen Verdächtigen. Trotz Versprechen ließ sich jener nicht mehr blicken, um seine Fracht doch noch abzuholen. Die Umstände hingegen, wie jener es überhaupt bewerkstelligt haben konnte, verstand Manuela nicht. Ohnehin hatte sie aufgehört, über die erlebten Wunder des vergangenen, mehrmalig erlebten, Heiligabend nachzudenken. Ja, es war der 25.Dezember und sie kümmerte sich auch heute um die Kinder...
... ebenso wie Wochen und Monate später. Der Zettel von der Tür lag da schon längst im Papierkorb.

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